Ein Wahlkampfauftakt wie noch
Das christliche Bild vom Menschen: der Mensch, so wie er ist und wie er geht und steht, das ist der wahre Mensch. „Dies unterscheidet uns von allen anderen Parteien.“ Rund um diese zentrale Kernaussage beschrieb Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble in seiner großen Rede im Sonnensaal des Kapuziners in Rottweil die politische Situation. Eine Lage, in der sich alles verändert, in einer enormen Geschwindigkeit.
Ein CDU-Wahlkampfauftakt, ein grandioses, ein bewegendes Erlebnis. Eine Rede, die weit mehr war als eine Wahlkampfrede.
So wie bei seiner Passage über den Umgang mit diktatorischen Ländern wie China und Russland. „Sie haben Angst vor der Freiheit.“ Warum lassen die Chinesen die zehn Millionen Uiguren nicht ihren Glauben leben, warum unterdrücken sie sie? Sie haben Angst vor der Freiheit!
In der ersten Reihe vor Wolfgang Schäuble hatte Volker Kauder Platz genommen. Wie zuvor schon Stefan Teufel bei den Begrüßungsworten würdigte der langjährige Weggefährte den nun aus dem Bundestag ausscheidenden Mitstreitern: „Ohne dich als Fraktionsvorsitzenden hätten die Regierungskonstellationen nicht so funktioniert wie dies der Fall war.“ Eine Würdigung, aus dem Herzen gesprochen: „Wir kennen uns seit JU-Südbaden-Tagen. Du warst nicht immer bequem, ich aber auch nicht.“ Eine Würdigung nicht nur der Leistung des Politikers, sondern vor allem auch des Menschen Volker Kauder: „Wie du dich verhalten hast nach der Abwahl als Fraktionsvorsitzender … ein Vorbild.“
So wie er ist und wie er war. Manch einer, der nun ausscheidet aus dem Deutschen Bundestag, hat dies in einer letzten Rede geradezu inszeniert. Volker Kauder hat auch eine letzte Rede gehalten, ohne einen „rührenden, schmerzlichen, tränenreichen“ Abschied zu
geben. Volker Kauder, demütig und dankbar, ging einfach. So geht es auch.
Zurück in den Sonnensaal im Kapuziner. Diejenigen, die angemeldet und nicht gekommen waren, dafür aber damit verursacht hatten, dass anderen – corona-bedingt – die Teilnahme verwehrt worden war, verpassten damit eine für alle bewegenden Veranstaltung. Um die herum so viel an Sicherheitsmaßnahmen notwendig gewesen ist, wie dies die allermeisten noch nie erlebt haben.
Notwendig, weil Menschen sind wie sie sind. Weil es verantwortliches Handeln gibt, weil Menschen Großartiges leisten, aber, so Wolfgang Schäuble: „Es gibt auch das Gegenteil. Man kann sich kaum vorstellen, was für Schweine es gibt.“ Ob im pornografischen Bereich oder wo immer. Und darum braucht es den Staat, der den Rahmen setzt, der Regeln festlegt.
Sicherheit und Freiheit – keine Gegensätze, kein Abwägen zwischen beidem, sondern: Die beiden Bereiche bedingen einander.
Am sichersten ist man im Gefängnis, in einer Einzelzelle. „Doch wollen wir das?“
Kein anderer Politiker versteht es wohl, scheinbar im Plauderton, Wahrheiten in der Tiefgründigkeit auszusprechen, den Menschen die so komplexe Situation sehr deutlich nahezubringen und ihnen gleichzeitig Mut zuzusprechen. Vertrauen zu bewirken.
Und so war alles drin in diesen zwei Stunden. Auch der Hinweis von Stefan Teufel, dass mit der Talumfahrung Schramberg und mit der Gäubahn „nach Volker Kauder“ noch zwei Aufgaben für die nächste Legislaturperiode zu bewältigen sind. So bleiben die Dankesworte von Maria-Lena Weiss in ihrem Schlusswort, und es klingen auch die so passenden schwung- und temperamentvollen Melodien der fünfköpfigen Saxophonband „sax-o-five“ nach.
Ein Wahlkampfauftakt wie noch nie. Mit sehr viel Wehmut, aber auch voller Dankbarkeit, über den Abschied von Volker Kauder aus dem Deutschen Bundestag. Mit einer Rede von Wolfgang Schäuble, die alles enthielt, was wichtig ist. Und damit mit einer wegweisenden Veranstaltung, siebzig Tage vor der Bundestagswahl.