Sehr viel spannender als (fast) jedes Fußballspiel: Anregender Gedankenaustausch mit Professor Dr. Hans-Georg Wehling
Ein Trostpflaster hatte der renommierte Politikwissenschaftler und überragender Kenner des Landes und seiner Geschichte, Prof. Dr. Hans-Georg Wehling für die bei der Landtagswahl geradezu abgestürzte CDU beim Vortrags- und Diskussionsabend im Gasthaus „Kreuz“ in Schramberg-Oberreute für die Christdemokraten bereit: „Der SPD geht es noch deutlich schlechter als Ihnen“, sagte er, „und die hat noch nicht einmal kapiert, wo ihre Probleme sind.“ Dies zeige nicht zuletzt die Kandidatendiskussion um den Landesvorsitz der Sozialdemokraten. Doch bei der gemeinsamen Veranstaltung der Senioren-Union und der Jungen Union, die als Vereinigungen der CDU einmal mehr als Kooperationspartner auftraten und die beim Gedankenaustausch mit dem Vorstandsmitglied im Europäischen Zentrum für Föderalismusforschung an der Eberhard Karls Universität Tübingen (um nur eine von zahlreichen Funktionen des auch publizistisch durch namhafte Veröffentlichungen hervorgetretenen Politologen zu nennen) über „Baden-Württemberg nach der Landtagswahl“ standen vor allem die Ursachen für das schlechte Abschneiden der CDU im Mittelpunkt des Interesses und der Diskussion.
Bereits bei der Einführung nannte der Kreisvorsitzende der Jungen Union, Marcel Griesser – und wie Professor Wehling Politikwissenschaftler – vier entscheidende Punkte für den für die Christdemokraten so enttäuschenden Wahlausgang. Zum zweiten Mal nach dem Verlust der Regierungsverantwortung vor fünf Jahren! Darunter längst nicht nur das „alles überlagernde Thema der Flüchtlings- und Asylpolitik, das jedoch eine nicht unbeträchtliche Rolle gespielt hat.
Dass die Gründe für das volatile, so sehr sich verändernde Wählerverhalten tiefer liegen, erläuterte Professor Wehling in seinem beeindruckenden Narrativ der Geschichte des heutigen Landes Baden-Württemberg: angefangen von den unterschiedlichen Entwicklungen in Baden und Württemberg seit Napoleon, über das Verhältnis von Staat und Kirche, die Gründung des Zentrum als politischem Arm des Katholizismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis hin zu der „Stimmabgabe für die CDU als politischem Glaubensbekenntnis.“ Die eklatanten gesellschaftlichen Veränderungen mit dem Verlust kirchlicher Bindungskraft zeigen ihren Niederschlag für den Politikwissenschaftler beim Wahlverhalten geradezu exemplarisch in oberschwäbischen Gemeinden, die er in ganz besonderer Weise beobachtet hatte und die in ganz besonderer Weise die langfristigen Gründe für verändertes Wahlverhalten verdeutlichen.
Spannende Landesgeschichte – alleine schon die Schilderung der Sammlung des Rottweiler Stadtpfarrers und Dekans Johann Georg Martin Dursch mit der Implementierung dieses Vorgangs in den kirchlich-politischen Kontext machte den Besuch der Veranstaltung zu einem Erlebnis der ganz besonderen Art – bis hin zu den Deutungen der Landtagswahl vom 13. März verblüfften und führten zu einem außerordentlich intensiven Gedankenaustausch in der sehr nachdenklich geführten Diskussion. Ausgehend von der Standortbestimmung eines Landes und einer Partei, die 58 Jahre lang Baden-Württemberg „unbestritten erfolgreich geführt“ hat, bis zu der Frage: Wie stellen wir uns Deutschland für die Zukunft vor? Eine sehr offene Debatte, bei der Professor Wehling sowohl einräumte, keine Patenlösung präsentieren zu können, wie die CDU wieder zu alter Stärke kommen könne, sie aber auf jeden Fall ermunterte, einem öffentlichen Meinungsdruck standzuhalten – so auch gegenüber Fragen nach dem Verhältnis zum Islam und einer Gesellschaft, in der Befürchtungen und Ängste zweifellos virulent seien.
Zu einem „spannenden Abend“ hatten Senioren-Union und Junge Union eingeladen: den erlebten die Teilnehmer dieser aktuellen Geschichts- und Politikstunde unter Leitung von Marcel Griesser für die JU und Karlheinz Glowalla und Hugo Bronner für die SU in ganz außergewöhnlichem Maße. „Mit ganz tiefen, wertvollen Einblicken und Erkenntnissen“, so der Dank an Professor Wehling am Ende einer Veranstaltung, die aufdeckte, in „welch aufregender Zeit, geradezu umwälzenden Zeit wir leben.“ Dies nicht zuletzt auch sichtbar durch die anfangs von dem prominenten Gesprächspartner genannten parteipolitischen Erschütterungen wie beispielsweise in Italien, in Frankreich und in Österreich.
„Was kann es Besseres geben, als wenn Senioren-Union und Junge Union sich gemeinsam auf den Weg machen, um miteinander über die Politik der Zukunft nachzudenken und sie mitzugestalten?“ fragte Karlheinz Glowalla in seinem Schlusswort.
Wohl nichts, mag sich der Politikbeobachter und Zeitgenosse fragen: und wer je nach dem Abend im „Kreuz“ in Schramberg-Sulgen das erste Viertelfinalspiel bei der Fußball-Europameisterschaft im Fernsehen angeschaut hat, der hat dann das exakte Kontrastprogramm zur Politdiskussion erlebt: die pure Langeweile nämlich. Und er konnte sich getrost wieder den Gedanken zuwenden, die Professor Wehling dem „Bürger im Staat“ (so eine von ihm viele Jahre lang verantwortete Schriftenreihe) mit nach Hause gegeben hatte.